14.09.2022

Perspektivenwechsel

Interview mit Frau Maul

Frau Maul ist als klassische Homöopathin in Wiesbaden tätig. Durch den intensiven Kontakt mit ihrem Enkel hat sich für sie eine „neue Welt“ erschlossen.

F

Frau Maul, viele Senioren schätzen die Ruhe und Entspanntheit, die diese Lebensphase mit sich bringt. Ihr Alltag hat sich dagegen in den letzten Monaten stark verändert, wie kam es dazu?

Mein Enkel suchte im Frühjahr sehr kurzfristig eine neue Bleibe und da er Ende des Jahres eine Stelle in Bayern antreten wird, fragte er mich, ob er übergangsweise bei mir einziehen könne. Ich nahm ihn gerne bei mir auf, ohne mir im Vorfeld große Gedanken darüber zu machen, was das für mich, meinen Alltag und unsere Beziehung bedeutet. Bisher hatte ich ihn höchstens am Wochenende für ein paar Stunden gesehen.

A

A

F

Welche Erfahrungen haben Sie im Zusammenleben mit diesem jungen Menschen gemacht?

Ich musste feststellen, dass ich als Vertreterin einer Generation, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, mit der heutigen kaum noch Gemeinsamkeiten habe. Die Jugend bestellt lieber im Internet, als in den Laden zu gehen. Man kommuniziert vorwiegend über das Handy miteinander, Informationen beschafft man sich über das Internet und aus weniger seriösen Quellen, Bekanntschaften und Partnerschaften werden über Online-Portale geknüpft. Diese veränderte Welt, in der die Jugend heute aufwächst, in der die Individualität des Einzelnen kultiviert wird, hat sich mir erst im Zusammenleben mit meinem Enkel erschlossen.

A

A

F

Kam es zu Konflikten?

Ja, natürlich! Wissen Sie, im Krieg war man auf die Hilfe des anderen angewiesen. Die Gemeinschaft sicherte das eigene Überleben. Diese Erfahrung hat mich und meinesgleichen geprägt. Auch heute noch sind wir füreinander da und leisten uns gegenseitige Hilfe, wenn Not am Mann ist. Ich habe gute Freunde, die mir bei Einkäufen helfen oder vorbeikommen und mit mir reden, wenn mich etwas bedrückt. Die Lebenswirklichkeit der jungen Leute hat mich im Gegensatz dazu sehr befremdet, so zum Beispiel der betriebene Körperkult, die Konzentration auf die eigenen Bedürfnisse, die unkritische Haltung gegenüber Informationen oder die Oberflächlichkeit von Beziehungen. Sie können sich sicher vorstellen, dass Konflikte und Diskussionen hier unvermeidbar waren.

A

A

F

Wie konnten Sie diese zwischenmenschlichen Spannungen überwinden?

Indem ich mich mit meinem Enkel auseinandergesetzt habe, ganz bewusst den Dialog gesucht habe und dabei nicht nachgelassen habe. Seiner Ungeduld bin ich mit Geduld begegnet. Nicht nur ich habe mich mit seiner Welt auseinandergesetzt, auch er hat einen Einblick in meine Welt erhalten und mitbekommen, wie schön und bereichernd gelebte Freundschaften sein können. Wie wichtig der persönliche Kontakt zu Menschen vor Ort ist und welche Qualität diese engen freundschaftlichen Beziehungen haben. Ich denke, dass es auch für ihn eine Bereicherung ist, eine solche Erfahrung gemacht zu haben. Umgekehrt bin ich auch froh darüber, dass die Welt sich weiterentwickelt - gerade in Deutschland gibt es unheimlich viele junge Menschen, die mit ihren Ideen Startups gründen und dazu beitragen, dass unser Leben, auch das der Senioren, immer besser wird. Neben der Geduld, die ich eben erwähnte, ist es vor allem die Akzeptanz für die Welt des jeweils anderen, die dazu beigetragen hat, dass wir heute noch zusammen unter einem Dach wohnen.

A

A

F

Wie beurteilen Sie abschließend Ihre „WG-Erfahrung“?

Die Anfangszeit hat uns sicher viel Kraft gekostet, aber ich bin sehr dankbar für diese Chance, meinen Enkel und die Welt, in der junge Menschen heute aufwachsen, so intensiv kennengelernt zu haben. Es hat sich nach alldem gezeigt, wir waren und sind ein gutes Team.

A

A

Datenschutzhinweis

Um unsere Website zu verbessern und Ihnen ein großartiges Website-Erlebnis zu bieten, nutzen wir auf unserer Seite Cookies und Trackingmethoden. In den Privatsphäre-Einstellungen können Sie einsehen, welche Dienste wir einsetzen und jederzeit, auch durch nachträgliche Änderung der Einstellungen, selbst entscheiden, ob und inwieweit Sie diesen zustimmen möchten.

Notwendige Cookies werden immer geladen